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bv Hitzacker. Als kleines Kind habe sie oft nur an der Treppe gestanden, um ein Autogramm zu ergattern. Sie erinnert sich an den Verschlag für die Künstler, eng, überhitzt, ohne jeglichen Komfort. “Aber die Künstler gingen damals auch in die Wohnhäuser, die wurden eingeladen. Die Ärztin Dr. Plothe hatte einen Jour fixe, da wurden regelmäßig Abendessen mit den Musikern und meinen Eltern veranstaltet.” Ihr Vater Wilhelm war mit Hans Döscher befreundet, dem Berliner Cellisten, der “verletzt aus dem Krieg kam, an eine Cellistenkarriere war nicht mehr zu denken. Aber er begründete 1946 das Festival, leitete es bis zu seinem Tod 1971.”
Man traf die Künstler auf der Straße, und “nach den Konzerten verschwanden die Musiker oft gemeinsam mit den Zuhörern in den Gaststuben”. Ihr Vater, jahrelang Vorsitzender des Freundeskreises der Sommerlichen, sei “kein großer Musikkenner” gewesen, aber “politisch und finanziell sehr engagiert für das Festival”. Nicht nur einmal habe er “schon in der Pause die Konzerte verlassen, um das Ledersofa unten bei Alfred zu besetzen”, lacht die Seniorin – “die Musiker kamen dann nach.”
Bei Familie Neels, Freunde der Eltern, “saß oft auch die Geigerin Nelly Schörre aus Hamburg mit auf dem Sofa. Sie liebte die Pilzgerichte – mit Pilzen aus der Göhrde. Auch im Hotel Riesenkastanie saßen die Künstler und meine Eltern oft beisammen, man hatte von den großen Balkonen aus einen herrlichen Blick auf die Elbe und übers Land. Auch, wenn die Mauer da war.” Nach der Grenzöffnung 1989 habe Hitzacker verschlafen, mehr aus sich zu machen, findet Ridder, die nach eigenen Worten nach dem rasanten Aufstieg auch den Verfall des Festivals hautnah miterlebte. “Zur Jahrtausendwende waren die Sommerlichen ziemlich herabgewirtschaftet”, erinnert sie sich – bis 2002 Dr. Markus Fein das Ruder herumriss und – als erster Nicht-Musiker – für frische Ideen und offene Konzepte sorgte. “Ab da übertrugen die Radiosender wieder Konzerte, die großen Zeitungen schrieben wieder Beiträge, das Festival war plötzlich wieder in aller Munde.”
Marlies Brakel, mit Ute Ridder befreundet, stammt aus Uelzen. Die langjährige Rektorin der Grundschule Hitzacker kennt die ,Sommerlichen’ bereits seit ihrer Schulzeit. Aber besuchen konnte sie sie erst viel später. “1962 habe ich in Uelzen Abitur gemacht”, berichtet sie. “Ich hatte einen fantastischen Musiklehrer, der uns damals schon von den ,Sommerlichen’ erzählt hat. Aber – man hatte gar nicht das Geld, um Hitzacker geschweige denn ein Konzert zu besuchen. Von Uelzen nach Hitzacker, dafür hätte man ein Auto gebraucht! Und wer hatte das schon. Die Zugverbindung ging zwar von Uelzen nach Dannenberg, aber man wäre ja nicht zurückgekommen.”
Am 1. April 1965 trat sie in den Schuldienst in Hitzacker. Seitdem besucht sie die Sommerlichen. “Die Musiktage im Waldfrieden – was haben wir da geschwitzt.” Brakel erinnert sich gut an das Kammerorchester des Südwestrundfunks. “Das waren ja immer dieselben. Man kannte sich im Laufe der Jahre. “Die Künstler waren total integriert in Hitzacker. Und wir Jüngeren sind oft mordsmäßig versackt mit den jungen Musikern – auf dem Balkon des Hotels Riesenkastanie.” Die Stimmung: “sehr familiär”. Obwohl viele Besucher aus Hamburg und auch von weiter weg den Weg nach Hitzacker fanden.
Dieses “sehr Intime, sehr Private” habe sich erst verändert, “nachdem ab 1975 alle ins Kurhaus gingen”, erinnert sich die pensionierte Lehrerin. Mit dem Wechsel der Location sei das Festival immer größer geworden. Der Wandel, den der Künstlerische Leiter Dr. Fein 2002 begründet habe, sei faszinierend gewesen. Und: “Das kleine Hitzacker ist tatsächlich sehr bekannt geworden durch das Festival.”
Anna Schneeberg ist die Jüngste, die Kiebitz zu ihren Erinnerungen an die Sommerlichen befragte. Die 20-Jährige lebte seit ihrer Geburt in Hitzacker, heute in Hamburg. Wie hat das Festival die Stadt geprägt? “Die Sommerlichen bringen viele Touristen in unsere Stadt, die die Stadt lebendig und vielfältig machen. Es ist mir oft schon passiert, dass, wenn ich jemandem erzähle, dass ich aus Hitzacker komme, die Leute sagen: ,Das kenne ich! Dort findet doch dieses Musikfestival statt!'”
Frage: Hat das Festival den Sommer in der Stadt verändert?
Anna Schneeberg: “Definitiv! Zu den Wochen im Sommer gehören Klänge vom Weinberg, musikalische Stadtrundgänge und eine volle Stadtinsel mit schick gekleideten Leuten. Alle sitzen draußen und man merkt: Wir wohnen dort, wo andere Urlaub machen.”
Frage: Wie nutzt du das Angebot? “Mit meiner Familie habe ich Konzerte besucht. Meistens waren das Konzerte von Musikern, die die Instrumente spielten, die mein Bruder und ich selbst spielen. Faszinierend finde ich die Vielfalt der Konzerte, die durch die verschiedenen Veranstaltungsorte, die Mitwirkung des Publikums und die ganz unterschiedlichen Formate geprägt sind.
So erinnere ich mich noch gut an einen Mitsing-Gottesdienst in der St.-Johanniskirche, aber auch an ein Klarinetten-Konzert vor dem Verdo unter einem Sonnensegel. Konzerte bedeuten hier eben nicht nur in irgendeinem Veranstaltungssaal sitzen und zuzuhören. Das finde ich großartig, denn das zieht auch junge Menschen an. Wir haben auch an den Akademien für Hobbymusiker teilgenommen. Ich kann mich noch sehr gut an den Weltklasse-Pianisten Henning Lucius erinnern, mit dem ich an einem Klavierstück arbeitete. Ich hatte großen Respekt, doch es war eine sehr lockere und lustige Atmosphäre und ich habe unheimlich viel gelernt. Am nächsten Abend trat er im voll besetzten Verdo auf und ich habe zugeschaut – das war echt cool. Diese Interaktionen mit so erfolgreichen Musikern sind großartige Möglichkeiten, die wir ohne die Sommerlichen in unserem strukturschwachen Landkreis nicht hätten.”



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